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Gentrification?
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Wir wurden öfter gefragt, ob wir
mit unserem Bauprojekt nicht den Wedding gentrifizieren.
Was hat unser Haus also mit Gentrifizierung zu tun?
Künstler und
Kulturschaffende
gelten
als Pioniere der Gentrifizierung.
Doch ist es so einfach? Und ist
das Dogma noch aktuell? Als sich Soho in New York und Islington
in London veränderten, galt diese Regel. Das war vor mehr als 30
Jahren. 1964 führte die britische Soziologin Ruth Glass den
Begriff Gentrification ein, um den veränderten sozialen Charakter eines
städtischen Gebiets zu beschreiben, in dem Fall Islington.
Den neuen Charakter brachten die neuen Bewohner und das neue
Gewerbe, die gegen die alten Bewohner und das alte Gewerbe
ausgetauscht wurden.
Im Berliner Kontext ist es so, dass der
Wedding aus historischen Gründen nicht die architektonische und
kulturelle Substanz zu bieten scheint, für die sich später
Kapitalanleger interessieren. Der zweite Weltkrieg und danach
die dezentrale Lage in Mauernähe haben vor allem zu Wohnriegeln
mit kleinen Räumen und niedrigen Decken geführt. Kein
zusammenhängendes Gründerzeitquartier wie im Prenzlauer Berg. Keine
symbolische Aufwertung durch kulturelle Vorlagen wie Songtexte,
Literatur und Kunst in Kreuzberg 36. Der Wedding hatte zuletzt mit
Eislers „Roter Wedding“,
Agitprop der 1920er Jahre, kulturelle Symbolkraft.
Im Vergleich zu London
oder New York verfügt Berlin eigentlich über einen Vorteil:
Stadtentwicklungsprozesse können stärker politisch gesteuert
werden, weil mehr Immobilien der Stadt gehörten. Doch genau diese
politische Macht übt der Senat kaum mehr aus. Er baut keine
Wohnungen mehr, unternimmt nichts gegen steigende Mieten und verkauft
seine Immobilien. Das kann man an den Geschäften des
Liegenschaftsfonds sehr gut beobachten. Gleichzeitig ist
Gentrifizierung aus den Wissenschafts- und Aktivismusdiskursen im
Mainstream angekommen. Die Größendimensionen von
Investoren-Projekten in Prenzlauer Berg und Mitte sind neu für
Berlin, in London oder New York haben sie schon eine längere
Geschichte.
Außerdem verfolgt Berlin das politische Programm
„Kreative Stadt“ und fördert die sogenannte Kreativwirtschaft. Dieses
neoliberale Konzept kommt woher – aus New York und
London. Dahinter ballt sich die kommerzielle Seite von Kultur –
Mode, Design, der Kunstmarkt und die dazugehörigen Marketing- und
Werbe-Agenturen. In dem Kontext mutiert Kunst zur reinen
Affirmation, die den Humus für Wirtschaft und Tourismus bereiten
soll. Das politische Leitbild sieht vor, die Interessen von
„kreativer Klasse“ und Wirtschaft zur Fusion zu bringen. Heraus
kommen soll Kunst ohne öffentliche Förderung, dabei definiert
sich dieses Land vor allem über seine Kultur. Stichwort
Kulturnation. Das Problem ist also komplexer geworden. Interessen
verschieben sich. Der Kapitalismus ist härter geworden.
In
Berlin ändern sich also die Voraussetzungen um über
Gentrifizierungsvorgänge zu urteilen. Denn die Politik hat den
Künstler als selbstorganisierte Ich-AG zum Role Model für eine
ganze Gesellschaft erklärt. Gleichzeitig werden
zentrumsnahe preiswerte Gewerbeflächen immer schwieriger zu finden.
Der Hausbesitzer, der uns das Dach
verpachtet, hat diese Entwicklungen vor vier Jahren erkannt: Die
Stadt Berlin
sorgt zu wenig dafür, dass den Kulturproduzenten
zentral gelegene Gewerbeflächen zu günstigen Mieten erhalten
bleiben. Deswegen hat er eine Möglichkeit gefunden diesem Prozess
gegenzusteuern. Für das Uferhallen-Gelände, die ehemaligen
BVG-Werkstätten, und zwei angrenzende Immobilien hat er einen
günstigen Mietpreis festgesetzt und langjährige Mietverträge mit
Künstlern und der Kunst nahestehenden Gewerbetreibern abgeschlossen.
Dieses Jahr können die Bewohner und andere Unterstützer
Aktienanteile kaufen, wodurch das Objekt für immer dem
Immobilienmarkt entzogen werden soll: Keine guten Aussichten für
den Wedding als Spekulationsfläche.
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